Fabrik in Ungarn
Eine neue Ära für die ungarische Tradition der Handschuhfertigung
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Produktion von Lederhandschuhen in großen Teilen Europas so gut wie ausgestorben. Aber in Ungarn hat dieses Handwerk überlebt. Hestra, mit Sitz in Småland, arbeitet seit den 1950er Jahren mit ungarischen Handschuhmachern zusammen. Vor zehn Jahren fiel die Entscheidung, dort eine eigene Fabrik aufzubauen.
Als Standort wurde die Tokaj-Region gewählt, ungefähr 250 km nordöstlich von Budapest. Die Landschaft entlang des Flusses Theiß ist für seine edlen Weine bekannt, aber seit 2011 profiliert sich die Gegend auch als Produktionsstandort für hochqualitative Sporthandschuhe. Hier, in der kleinen Stadt Rakamaz, hat das schwedische Unternehmen Hestra Europas modernste Handschuhfabrik errichtet. Nun leitet diese helle und geräumige Anlage eine neue Epoche der ungarischen Handschuhfertigung ein.
In Ungarn blickt die Produktion von Lederhandschuhen auf eine lange und erfolgreiche Geschichte zurück. Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wurden Qualitätsprodukte nach ganz Europa exportiert – auch nach Småland in Schweden. In den 1950ern Jahren nahm Hestra Kontakt mit ungarischen Lieferanten auf. Die Nachfrage nach den langlebigen Handschuhen des Unternehmens war um diese Zeit enorm gestiegen: der Aufschwung resultierte aus der Erkenntnis, dass die Handschuhe nicht nur für Holzfäller, sondern auch für Skifahrer im Hochland von Småland nützlich sein könnten. Es stellte sich jedoch als schwierig heraus, in Schweden qualifizierte Näherinnen für die Eigenproduktion zu finden. In Ungarn sah die Situation anders aus: dort fanden sich zahlreiche Hersteller und Personen mit den benötigten handwerklichen Fähigkeiten.
Die Vorteile von Ungarn und der EU
Seitdem besteht zwischen Hestra und diesem osteuropäischen Land eine starke Verbindung. Als das Unternehmen ein halbes Jahrhundert später nach einem Standort für eine neue Handschuhfabrik suchte, fiel die Entscheidung schnell auf Ungarn.
„Wir hatten viele Kontakte in Ungarn und wussten, dass es dort noch viel mehr handwerkliches Know-how gab, das wir uns für die Zukunft sicher könnten“, erklärt der Anton Magnusson, Geschäftsführer von Hestra.
Gleichzeitig wollte das Unternehmen seine eigene Produktionsanlage in Europa aufbauen. Hestra war schon Miteigentümer von zwei Handschuhfabriken in China, aber die Option, einen Teil seines Sortiments innerhalb der EU herzustellen, brachte unbestreitbare Vorteile mit sich.
„Keine Zollgebühren, viele gemeinsame Gesetze und Regulierungen sowie stabile Arbeitsbedingungen“, erklärt Anton Magnusson. Und führt weiter aus: „Außerdem sind die Transportwege kürzer. Das lohnt sich in Bezug auf Nachhaltigkeit, Kosten und Planungen. Und es ist einfacher, Waren kurzfristig zu produzieren, um bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen.“
Wissen aufbauen
Anton Magnusson leitete die ungarische Tochtergesellschaft zwei Jahre lang als Geschäftsführer. Heute glaubt er, dass Hestra nicht nur eine Fabrik aufgebaut, sondern auch eine Menge Wissen erworben hat. Zusammen mit den Experten der Swedish School of Textiles an der Hochschule Borås wurde beispielsweise ein Ausbildungsprogramm entwickelt, in dem versierte Handschuhmacher in einem Team mit weniger erfahrenen Kollegen arbeiten und ihnen praktische Fähigkeiten beibringen.
„Die Tradition der Handwerkskunst, mit der mein Großvater vor 50 oder 60 Jahren aufwuchs – bei der Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wurde –, existiert in Ungarn nicht mehr. Der Wissensaustausch muss nun innerhalb des Unternehmens stattfinden“, sagt Anton Magnusson.
Solch individuelles Training braucht Zeit, aber Anton Magnusson ist überzeugt, dass sich die Investition auszahlt. „Das führt nicht nur zu mehr Wissen und Know-how im Unternehmen, sondern auch zu einem Identitäts- und Verantwortungsgefühl. Wie in einer großen Familie.“
Persönliche Beziehungen machen den Unterschied aus
Seit 2019 wird die Fabrik und ihre 110 Arbeitskräfte von Krisztián Tenke aus Ungarn geleitet. Der 41-jährige Maschinenbauingenieur hat reichlich Produktionserfahrung in unterschiedlichen Sektoren gesammelt. Er verbringt viel Arbeitszeit in der Werkshalle und bleibt mit seinen Mitarbeitern in engem Kontakt – er hört zu, erklärt und hilft ihnen, Alltagsprobleme zu lösen. Für uns ist es ein Vorteil, dass Krisztián die gleiche Sprache spricht und die Kultur und den Ton versteht.
„Bei uns in der Produktion arbeiten unglaublich intelligente und eifrige Menschen. Es ist sehr wichtig, ein positives Verhältnis zu ihnen zu haben – sich mit ihnen auf Augenhöhe auszutauschen und Teil ihres Alltags zu sein“, sagt Krisztián.
Hestra Ungarn hat sich der BSCI (Business Social Compliance Initiative) angeschlossen, einer EU-Organisation, welche die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie prüft. Das Unternehmen durchläuft derzeit den umfangreichen Zertifizierungsprozess. Wie Krisztián es sagt: „Es sollte ein attraktiver und sicherer Arbeitsplatz mit menschenwürdigen Arbeitszeiten, einer fairen Entlohnung und den höchsten Sicherheitsstandards sein.“
Qualitätssteigerung
Die Anlage in Rakamaz produziert zwischen 100.000 und 150.000 Paar Sporthandschuhe pro Jahr – und jedes Paar muss den höchsten Standards in Bezug auf die Qualität und die Umweltauswirkung entsprechen. Seit 2015 ist das Unternehmen nach den globalen Standards ISO 9001 und ISO 14001 zertifiziert, welche Qualität und die Umwelt abdecken.
„Alle Mitarbeitende und jedes Arbeitsteam, egal in welcher Phase des Herstellungsprozesses, tragen die Verantwortung für die Qualität ihrer Arbeit“, erklärt Krisztián. „Die Produkte werden zweimal geprüft, bevor sie zur nächsten Produktionsphase weitergehen. Außerdem haben wir zwei Qualitätsprüfer, die jedes Detail überprüfen, bevor das Endprodukt versandt wird.“
Krisztián ist stolz auf die Ergebnisse. Als Fabrikleiter, aber auch als Ungar, freut es ihn, dass Småland-Handschuhe aus Ungarn nun weltweit bekannt sind.
„Bei einem Management-Meeting kam der amerikanische Vertriebsleiter auf mich zu, gab mir die Hand und bedankte sich für die Qualität der Handschuhe, die wir in Rakamaz produzieren. Da hat man das Gefühl, dass sich jeder Cent, der in die neue Generation der ungarischen Handschuh-Handwerkskunst investiert wurde, gelohnt hat.“